Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Kreisverband Essen e. V.

30 Jahre „Rostige Speiche“ für Essen

Anfang Dezember war es 30 Jahre her, dass die Stadt Essen mit der „Rostigen Speiche“ als fahrradunfreundlichste Großstadt Deutschlands ausgezeichnet wurde.

Bundesumweltminister Klaus Töpfer (rechts) überreicht Essens Oberstadtdirektor Kurt Busch (links) die „Rostige Speiche“ © Stadt Essen

Es war das Ergebnis der zweiten bundesweiten Umfrage des ADFC unter Radlerinnen und Radlern zum Fahrradklima in Deutschlands Städten. Letztlich war es aber vor allem die Folge einer bis in die 1990er Jahre andauernden extrem einseitigen Verkehrspolitik, mit wel­cher der Radverkehr in Essen oftmals ganz bewusst zurückgedrängt wurde, um mehr Platz für fahrende wie stehende Autos zu schaffen. Das Ziel war die „autogerechte“ Stadt, in der Menschen nur eine untergeordnete Rolle zugestanden wurde.

In der Nachkriegszeit verschwanden in Essen viele der damaligen Radwege zugunsten eines mehrspurigen Ausbaus ganzer Straßenzüge. Als Beispiel seien die Radwege im Bereich der Bahnunterführung zwischen der Freiheit und dem heutigen Willy-Brandt-Platz genannt. Entstanden in den 1930er Jahren überlebten sie sogar die Bombardie­rungen im 2. Weltkrieg und verschwanden erst im Laufe der 1950er Jahre. Andernorts lassen sich dagegen noch heute rudimentäre Reste alter Radwege besichtigen, so an Teilen der Richard-Wagner-Straße im Südviertel, wo man Radwege kurzerhand zu Parkstreifen umwidmete. Radwege gab es sogar parallel zum Ruhrschnellweg, der heutigen A40. Zwischen Huttrop und Kray fielen diese erst in den 1980er Jahren der sechsspurigen Erweiterung der Autobahn zum Opfer. Einen rudimentären Radweg ent­lang der A40 gibt es noch zwischen Essen und Mülheim-Heißen, aber auch dessen Tage könnten angesichts des momentan dort diskutierten sechsspurigen Ausbaus gezählt sein.

Seit 1988 wird der Fahrradklimatest vom ADFC in mehr oder minder regelmäßigen Abständen durchgeführt. Anhand eines vielschichtigen Fragenkatalogs können Rad­ler*innen seither die Radverkehrsverhältnisse ihrer Städte mit Zensuren von 1 bis 6 be­noten. Bereits bei dieser ersten Umfrage wurden Essen derart schlecht beurteilt, dass man auf dem vorletzten Platz landete, getoppt im negativen Sinn nur durch Saarbrüc­ken. Drei Jahre später bewerteten Essens Radler*innen ihre Stadt mit der Gesamtnote 5,1 dann derartig schlecht, dass Essen zum bundesweiten Schlusslicht wurde und die „Rostige Speiche“ verliehen bekam. Als beste und damit fahrradfreundlichste Stadt wurde damals Münster bewertet und mit dem „Goldenen Rad“ geehrt. Diesen Titel er­hielt die Stadt quasi im Abonnement bis 2018. Offenbar hat man sich dann aber doch zu lange auf seinen Lorbeeren ausgeruht, denn seither steht Karlsruhe in punkto Rad­fahrfreundlichkeit bundesweit an erster Stelle.

Wurde der allererste Fahrradklimatest seinerzeit hauptsächlich in Fach- und Insiderkrei­sen und nur wenig in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen, sah dies 1991 ganz anders aus. Der ADFC konnte niemand geringeren als den damals durchaus populären Bundesumweltminister Klaus Töpfer für die Durchführung der Anfang Dezember statt­findenden Verleihung gewinnen. Diesen Umstand konnte man in Essen kaum ignorie­ren und schickte die damalige Nr. 2 der Stadt, Oberstadtdirektor und Verwaltungschef Kurt Busch (dieser Posten war seinerzeit noch nicht mit der des Oberbürgermeisters verschmolzen), ins Bundesumweltministerium nach Bonn. Und Busch machte dort gute Miene zum bösen Spiel.

In seiner „Verteidigungsrede“ erwähnte er u.a. die seit 1989 bestehenden Bestrebungen um Aufnahme Essens ins NRW-Landesprogramm „Fahrradfreundliche Stadt“, der Vor­läuferorganisation der „Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Städte“ (AGfS). Dass etliche Jahre später Essen tatsächlich Mitglied in besagter AGfS wurde, sei nur am Rande erwähnt. Busch berichtete noch von der Beauftragung eines externen Ingenieur­büros zur Konzipierung eines Radroutennetzes, wobei es fünf Jahre brauchte, bis die­ses offiziell vom Rat der Stadt Essen beschlossen wurde. Immerhin haben ADFC und EFI durch enge Zusammenarbeit mit besagtem Ingenieurbüro die Konzeption des Hauptroutennetzes maßgeblich mit beeinflussen können. Nicht unerwähnt bleiben sollte die vielsagende Bemerkung Buschs zum Abschluss, dass „Essens Radler auch in Zu­kunft lieber im Münsterland radeln werden als in der eigenen Stadt“.

Die Zeit nach dem 1995 beschlossenen Hauptroutennetzes ist seitdem geprägt von ständigen Aufs und Abs. Bei dessen bis heute nicht abgeschlossenen Realisierung hat man sich an besagten Ratsbeschluss eigentlich auch nur dann gehalten, wenn der Autoverkehr nicht nennenswert tangiert wurde. Das zeigte sich bereits 1996, also nur ein Jahr später, als es um den Ausbau der Altenessener Straße nach Stilllegung der Straßenbahn ging. Vor allem die im Umfeld des Altenessener Bahnhofs erfolgte Nicht­berücksichtigung des Radverkehrs in Fahrtrichtung Süden bildet bis heute einen der gravierendsten Gefahrenpunkte im Essener Radroutennetz. „Radfahrer müssen auch mal verlieren können“, hieß es damals wortwörtlich aus Politik und Verwaltung gegen­über den Interventionen von ADFC und EFI.

Dennoch hat es seit der Mitarbeit bei der Erstellung des Hauptroutennetzes 1991/92 immer wieder euphorische Phasen beim Radverkehr gegeben, beginnend mit der eben­falls in den 1990er Jahren durchgeführten „Internationalen Bauausstellung Emscher­park“, in welcher maßgebliche Impulse für die Umwandlung alter Industriebahnen zu Radwegen gesetzt wurden. Nachdem die Stadt nach der Jahrtausendwende beim Ausbau des Radroutennetzes in weitgehender Lethargie verfallen war und sogar auf politischem Geheiß damit begann, nagelneue Radwege und Fahrradstraßen zurückzu­bauen, erfolgte beinahe der Ausschluss aus der AGfS. Mit dem 2005 unter dem Motto „Essener Fahrradfrühling“ konzipierten Aktionsprogramm konnte dann aber erneut eine Wende hin zur verstärkten Förderung des Radverkehrs vollzogen werden. Auch die Jahre 2010 und 2017, als Essen den Status als „Europäischen Kulturhauptstadt“ be­ziehungsweise zur „Grünen Hauptstadt Europas“ erhielt, waren geprägt von wichtigen Impulsen für den Radverkehr.

Waren jedoch alle diese herausragenden Events vorbei, kehrte man vor allem bei der Förderung des Alltagradverkehrs relativ schnell zum mühseligen Kleinklein zurück. So lassen sich die im vergangenen Jahr im Zuge der LeadCity-Maßnahmen umgesetzten drei Fahrradstraßenachsen sowie die Umweltspur in der City zwar grundsätzlich positiv bewerten, in der Art der Ausführung weisen jedoch alle Projekte zum Teil gravierende Mängel auf. Insofern dürfte es in den kommenden Jahren spannend werden, wie mit dem Forderungskatalog des „RadEntscheids Essen“, welcher 2020 offiziell vom Rat der Stadt Essen ohne nennenswerte Änderungen übernommen wurde, in der Praxis umge­gangen werden wird. 30 Jahre nach der „Rostigen Speiche“ muss endlich die Wende hin zur einer wirklich radfahrfreundlichen Verkehrspolitik vollzogen werden.

P.S.: Wer mehr Details zum Werdegang des Radverkehrs in Essen vor bzw. nach der Verleihung der „Rostigen Speiche“ erfahren möchte, dem sei die 2009 erschienene Festschrift zum 25-jährigen Jubiläum des ADFC-Essen nahegelegt. Die über 100 Seiten starke Printausgabe ist zwar längst vergriffen, ist aber als PDF in der blauen Box verlinkt.


https://essen.adfc.de/neuigkeit/30-jahre-rostige-speiche-fuer-essen

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