Stellungnahme zu den neuen Zahlen beim Modal-Split in Essen
Zu den jüngst veröffentlichten neuen Zahlen zum Modal Split in Essen möchte der ADFC-Essen Stellung beziehen.
Besorgniserregend findet der Essener ADFC die jüngst veröffentlichten Zahlen zum „Modal Split“, also den prozentual ermittelten Anteilen der verschiedenen Verkehrsarten. Obgleich seit vielen Jahren von einer dringend erforderlichen „Verkehrswende“ die Rede ist, müssen Essens Radler ernüchtert zur Kenntnis nehmen, dass der sowieso schon exorbitant hohe Anteil des Autoverkehrs nochmals angestiegen ist. Zwar ist auch der Anteil des Radverkehrs größer geworden, verharrt aber im bundesweiten Vergleich nach wie vor auf besonders niedrigem Niveau. Und das in einer Stadt, die sich offiziell als „fahrradfreundlich“ bezeichnet. Besonders erschreckend erscheint in diesem Zusammenhang der starke Rückgang des Fußverkehrs, während der ÖPNV nach wie vor auf ebenfalls relativ niedrigem Niveau verharrt – für eine Großstadt ein Armutszeugnis.
Schaut man sich die Verkehrspolitik in Essen der letzten 15 Jahre an, muss man feststellen, dass der Autoverkehr entgegen vielfach propagierten verkehrs- wie umweltpolitischen Bekenntnissen eher noch weiter hochgepäppelt wurde. Als Beispiele seien genannt die Fertigstellung der A44 im Essener Süden sowie der Bau des völlig überdimensionierten Berthold-Beitz-Boulevards, dessen Weiterführung aktuell weiter vorangetrieben wird. Besonders befremdlich erscheint zudem die Aufrechterhaltung des uralten Ratsbeschlusses für den aus heutiger Sicht völlig unzeitgemäßen Bau der Nord-Süd-Autobahn A52 mitten durch den dicht besiedelten Essener Norden. Angesichts dieser immer noch anhaltenden Priorisierung des Autoverkehrs darf man sich nicht wundern, dass dieser in Essen entgegen landläufiger Trends immer noch zunimmt.
Beim Radverkehr gilt es festzustellen, dass seit der Ernennung Essens zur „fahrradfreundlichen Stadt“ im Jahr 1995 viele wirklich positive Entwicklungen oftmals gleich wieder im Keim erstickt bzw. nicht konsequent weiterverfolgt wurden. Das damals beschlossene Hauptroutenkonzept ist selbst nach 24 Jahren immer noch nicht fertig gestellt. Zudem besteht es vielfach aus zu schmalen Radwegen oder Radfahrstreifen, die an kritischen Stellen häufig unterbrochen werden oder gleich gänzlich enden. Dass dieser Umstand nur wenige Menschen zum Umstieg aufs Fahrrad bewegt, liegt auf der Hand. Die Prämisse lautet bislang oftmals, dass dem Radverkehr nur dann ausreichend Platz eingeräumt wird, wenn dem Autoverkehr dadurch keine Einschränkungen widerfahren.
Es gibt aber auch positive Entwicklungen, wie die große Zahl gegenläufig geöffneter Einbahnstraßen oder Fahrradstraßen, obgleich bei Letzteren der Ausbau wesentlich flotter voran gehen könnte. Eigentlich sind auch die zu Radwegen umgebauten Bahntrassen positiv zu werten, allerdings dienen sie in den meisten Fällen eher dem Freizeit- als dem Alltagsradverkehr. Man muss schon relativ nah dran wohnen, um wirklich davon profitieren zu können. Der Radverkehr im Alltag spielt sich aber zum großen Teil im Straßenraum ab. Und gerade hier hapert es in punkto Infrastruktur am meisten – Stichwort Nord-Süd-Achse. Bei der Verwaltung erklärt man den mangelnden Fortschritt auch mit fehlenden Planungs- und Baukapazitäten, sprich Personalmangel. Da können Essens Radler nur sehnsüchtig in die Ruhrgebietsmetropole Dortmund schauen, wo man jüngst beschlossen hat, den Planungs- und Baubereich für den Radverkehr um zehn Personen aufzustocken.
Am mangelhaften Fortschritt beim Radverkehr in Essen haben bislang auch etliche wohlmeinende Absichtserklärungen und Förderprogramme nur wenig ändern können. Selbst von dem anlässlich des zurückliegenden Grünen Hauptstadtjahrs propagierten Ziel, den Anteil des Radverkehrs bis 2020 – also bis zum kommenden Jahr – auf 11% zu steigern, hat man sich inzwischen offiziell verabschiedet. Hoffnung bieten die aktuellen Programme wie „Masterplan Verkehr“ und „Lead City“, letztere mit den drei Radfahrachsen in Holsterhausen und Rüttenscheid. Ob diese neuen Programme letztlich nicht doch wieder von der Politik torpediert werden wie so manch anderes Radverkehrsprojekt der letzten Jahre, bleibt abzuwarten.
In dieser Hinsicht bleibt es aus Sicht des ADFC spannend zu sehen, wie sich die Essener GroKo in punkto Umweltspur auf der Schützenbahn sowie bei der Bahnhofstangente verhält. Für Essener Verhältnisse hat die Verwaltung in beiden Fällen wirklich innovative Planungen auf den Tisch gelegt. Auch die Inanspruchnahme von bislang als absolutes Tabu geltenden Autofahrspuren gehört dazu. Dies alles kann nach Ansicht des ADFC letztlich nur der Anfang eines Paradigmenwechsels in der Essener Verkehrspolitik hin zu den umweltfreundlichen Verkehrsmitteln sein. Schließlich hat sich die Stadt zumindest offiziell noch nicht von dem vor 6 Jahren propagierten Ziel verabschiedet, bis 2035 den Anteil des Radverkehrs beim Modal Split auf 25% zu steigern.
Mit fahrradfreundlichen Grüßen
Jörg Brinkmann, Sprecher ADFC-Essen e.V.